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Douglas Reed

Der grosse Plan der Anonymen

 

ERSTES BUCH

Rauch

1933-1939

V.

Zwischen zwei Dieben

Es gibt einen Mann in den dreißiger Jahren, der mir, wie mir zehn Jahre später aufgegangen ist, für meine verlorene Zeit, für meinen falsch aufgewandten Glauben und für die Irreführung meiner Leser Schadenersatz (eine Entschädigung, die er seinerzeit selber vom deutschen Reichsgericht verlangte) schuldet. Georgij Dimitrow brachte mich abgehetzten Journalisten dazu, mein erstes Buch «Der Reichstagsbranb" zu schreiben, und ich mußte die Nacht zum Tage machen, um damit fertig zu werden. Tägliche Berichte in den Zeitungen, dachte ich, würden den Menschen daheim nie und nimmer den Schrecken dessen, was über Europa heraufzog, klarmachen; dann vielleicht also ein Buch? Und hier war das Thema; die Unschuld von der Missetat verfolgt, ein aufrechter Mann, der sich gegen Gesindel verteidigt, das ewige Volk gegen die ewige Tyrannei.

Mich schaudert es, wenn ich jetzt daran zurückdenke. Unser Jahrhundert ist eine einzige große Maskerade, und wie soll man ein wahrheitsgetreues « Wer ist Was» zustandebringen, wenn alle Menschen eine Maske tragen? Wie jäh änderten sich seine Züge,

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als er die Maske ablegte! Ihm ging es nur darum, die Macht zu erlangen, um dann anderen anzutun, was er anprangerte, als man es ihm selber antat. Er wollte Europa gar nicht von den Gauleitern säubern, sondern sie nur in Kommissare umtaufen.

Das Schicksal meinte es gut mit mir, als es mich am Reichstag vorüberkommen ließ, als der Brand eben begann. Jemand, der diese Flammen und was darauf folgte, mit angesehen hat, besitzt auch den Schlüssel zu dem Rätsel unseres Jahrhunderts. Ein gewisser Major Breen, der in jener schicksalhaften Nacht Dienst in der Britischen Botschaft tat, schrieb fünfzehn Jahre später an die «Times» : «Das Gaunerstück mit dem Reichstagsbrand war die Atombombe, die unseren Kontinent in Stücke zersprengte», und das entspricht genau der Wahrheit. Diese Flammen umzüngeln heute das Leben und die Freiheit eines jeden Menschen auf der britischen Insel, ob Mann oder Frau oder Kind.

Die Kette der Ereignisse liegt klar vor uns. Der Brand wurde den «Bolschewisten» in die Schuhe geschoben, und unter diesem Vorwand wurde das parlamentarische Regime beseitigt, und die Geschicke in Deutschland wurden durch «Notverordnungen» geleitet. Auf diese Weise wurde der Bereich zerstörter Parlamente und der Terrorherrschaft in einem Zug von Sowjetasien bis zu dem größten Land Europas ausgedehnt. Später begann der Krieg nach Uebereinkunft und in einem Bündnis mit eben diesen "Bolschewisten». Dadurch wurde das Regime der wilden Gewalt über alle Länder, die zwischen beiden lagen, ausgedehnt, so daß der asiatische Despotismus nun bis an den Rhein reichte. Als das Bündnis zerbrach, schrumpfte dieser Bereich jedoch nicht zusammen, und ebenso wenig wurde er kleiner, als der Sieg errungen worden war. Als das Ergebnis des siegreichen Krieges gegen Deutschland wurden die Notverordnungen in England verlängert (was soviel bedeutet wie: daß das Parlament auf halb zerstörten Grundlagen weiter besteht). Daher rührt dieses Zwielicht der Unsicherheit auf der britischen Insel unmittelbar vom Reichstagsbrand her.

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Das scheint mir die fortdauernde Wahrheit in Lord Actons Feststellung eines «Planes hinter dem Aufruhr» und einer «berechnenden Organisation» unsichtharer Leiter zu bestätigen. Wer er hat den Reichstag angezündet, den Erzherzog in Sarajewo erschossen, Alexander in Marseille ermordet oder Boris getötet? Das werden wir nicht erfahren, aber deutlich erkennen wir, daß alle diese und andere Fragmente in das Bild der überall tätigen Zerstörung nationaler Eigenständigkeit, parlamentarischer Regierungsweise, der Gerechtigkeit und Freiheit und der Menschenrechte (die durch die Propheten der Französischen Revolution so edel ausgelegt worden sind) hineinpassen.

Ich, der den lallenden, sabbernden van der Lubbe gesehen habe - ich kenne den nichtswürdigen, feilen Diener in diesen Umtrieben. Aber Dimitrow war ganz anders. Er war ein führender und eingeweihter Verschwörer, soviel steht jetzt fest. Ich bewunderte damals seinen Mut und bin heute der Meinung, ein Schriftsteller sollte vorsichtig dabei sein, diesen Charakterzug zu rühmen. Wie Mark Twain (der ein Buch damit anfing, daß er schrieb: wenn seine Leser Wetterschilderungen wünschten, sollten sie sich bis zum Schluß gedulden, wo er in einem Anhang die schlechtesten Wetterberichte aus der Feder zeitgenössischer Schriftsteller anführte) sollte der politische Schriftsteller den Mut aus seinen Portraits entfernen, denn sie könnten durch ihn verfalscht werden. Göring, der der Inbegriff eines feigen Lumpen zu sein schien, als er Dimitrow ankündigte, er würde ihn höchst· persönlich aufknüpfen, starb ganz gefaßt zu einer Zeit, wo Dimitrow selber in Sofia Galgen errichtete.

Ich frage mich jetzt auch, was es mit Dimitrows Mut wohl auf sich hatte. Ob auch bei den Gerichtsverhandlungen um den Reiehstagsbrand die Hand der Drahtzieher im Spiele gewesen ist? Damals nahm mich nur wunder, daß die Nazi ihm überhaupt erlaubten, vor der Oeffentlichkeit dermaßen aufzutreten, wo sie doch ihre eigenen Untertanen ganz geheim vor «Volksgerichten» aburteilten oder sie ohne irgendwelche Gerichtsverhandlungen be-

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seitigten. Dabei wird mir wieder eine Episode gegenwärtig, die vielleicht mehr zu bedeuten hat, als ich damals dachte.

Bevor die Gerichtsverhandlungen begannen, hatte mir eine Bekannte in Berlin beiläufig gesagt, ich würde in meinem Hotel in Leipzig Besuch von einem ihrer Freunde bekommen, den sie nur «Heinrich» nannte. (Ich war damals mit dem kommunistischen System, nur Decknamen zu verwenden, noch nicht vertraut.) Und richtig, dieser Mann kam. Er war ein jüdischer Kommunist aus Rußland, dem es in dieser von der Gestapo beherrschten Stadt immer noch recht gut zu gehen schien. Er hat mich, ihm nach den Verhandlungen eines jeden Tages eine kurze Zusammenfassung der Ereignisse im Gerichtssaal zu geben. Während mehreren Tagen erwartete er mich, in der Halle sitzend, um diesen Bericht entgegenzunehmen. Da ich den Verlauf der Verhandlungen ohnehin weiterberichtete, sah ich nichts darin, ihm zu erzählen, was vorgegangen war. Was mich jetzt im Lichte all dessen, was seit damals geschehen ist, interessiert, ist seine Aussage vor Prozeßbeginn: «Dimitrow wird in diesem Prozeß sehr groß auftreten!» - Wie konnte er wissen, daß man es Dimitrow erlauben würde, «sehr groß aufzutreten»?

Dimitrow war um jene Zeit ein bloßer Name für mich, und der Kommunismus eine unbeantwortete Frage. Ich wußte, daß er zu der herrschenden Clique der Kommunistischen Internationale gehörte, wußte aber im Jahre 1933 noch nicht, was das bedeutete; jetzt weiß ich das. Damals wußte ich, daß kommunistische und nationalsozialistische Methoden gleich waren, aber ich glaubte, der Kommunismus würde in Rußland bleiben. Mein Haupteinwand gegen den Nationalsozialismus war die feste Gewißheit, daß er nicht im Sinn hatte, sich auf Deutschland zu beschränken. Der Kommunismus konnte nur durch einen Krieg Boden gewinnen, und die Verhältnisse in Rußland waren nach fünfzehn Jahren kommunistischen Regimes dort so furchthar, daß ich die Auffassung hatte, der Kommunismus müßte einen Krieg scheuen. Ich sah voraus (und sagte das auch im «Jahrmarkt des

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Wahnsins»), daß ein für den Krieg gerüsteter Hitler ein Bündnis mit Stalin suchen würde. Doch ich sah nicht voraus, mit welcher Bereitwilligkeit der andere von den beiden Mördern darauf eingehen würde. Hätte ich soweit vorausgesehen, dann hätte ich mir auch nicht eingebildet, Dimitrow wäre das unschuldige Opfer Hitlers. (Seine Entlassung aus der Haft und seine Auslieferung an die Sowjetunion zu einer Zeit, da Unschuld in Deutschland ûberhaupt nichts bedeutete, hätten mir Stalins Komplizenschaft im Jahre 1939 klarmachen sollen.)

In den dreißiger Jahren glaubte ich seine Sache herzzereißend verloren. Genau zehn Jahre zuvor hatte er einen erfolglosen Aufstand in Bulgarien angezettelt; genau zehn Jahre zuvor hatte Hitler eine erfolglose Revolution in Bayern angezettelt. Welch eine Wendung hatten diese zehn Jahre gebracht! Der eine von den beiden Männern ein Häftling ohne alle Freunde vor dem deutschen Reichsgerichtshof, der andere durch eigene Proklamation der oberste Magistrat in Deutschland!

Noch einmal zehn Jahre, und Dimitrow benahm sich in Bulgarien genau so, wie Hitler sich in Deutschland benommen hatte. «Der Kommunismus ist nicht grausam und brutal!» hörte ich ihn von der Anklagebank her schreien. Noch einmal zehn Jahre, und er selber gründete in Bulgarien genau dieselben «Volksgerichte», die Hitler nach dem Reichstagsbrand eingesetzt hatte! Ich wohnte den Sitzungen des ersten deutschen Volksgerichtshofes bei und heute noch graut mir davor, wenn ich einen englischen Gerichtshof betrete und Richter sehe, die sich nicht vergewaltigen lassen und immer weiter Recht sprechen. Etwas Göttliches liegt über diesen Gerichten und alles nur erdenklich Teuflische über jenen anderen, wo "Die Partei» unter der ironischen Bezeichnung «Volksgerichtshof» das Todesurteil über das Volk ausspricht.

Hunderte von Köpfen rollten auf den Befehl der Volksgerichte Dimitrows.

Voller Hohn wies er damals die Beschuldigung zurück, der Reichstagsbrand sei das Ergebnis "einer kommunistischen Ver-

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schwörung zur Machtergreifung». Er schrie heraus, dies wäre ein Akt «politischer Provokation», er schmähte seine Ankläger mit dem Verbot der kommunistischen Partei und dem Ausschluß ihrer Abgeordneten aus dem Reichstag - in den dreißiger Jahren. Aber in den vierziger Jahren hielt er (wie Hitler) «Wahlen» ab und ließ hinterher den Führer der Opposition Petkoff verhaften, zum Tode verurteilen. („Ein Hund soll wie ein Hund krepieren!» schrie er) und ließ die dreiundzwanzig Abgeordneten der Opposition aus dem Parlament ausschließen. Warum? «Sie haben konspiriert», so erklärte er dem britischen Gesandten todernst, «um mit Waffengewalt an die Macht zu kommen.»

Eins aber erriet ich schon, als ich in den dreißiger Jahren über ihn schrieb: «Wer einen weiten Blick in die Geschichte tut, erwäge die Tatsache, daß unter all den Parteien, die der Nationalsozialismus zerstört hat, die kommunistische Partei als Organisation die einzige ist, die in Deutschland überlebt hat. Konservative, Sozialisten, Katholiken, Demokraten, Liberale - alle sind weggefegt. Die kommunistische Partei aber, die zu vernichten die vordringlichste Aufgabe (heute möchte ich schreiben: die vorgebliche Aufgabe) des Nationalsozialismus gewesen ist - die hat überdauert, das Gerippe einer Streitmacht, das unterirdisch arbeitet, deren Mitglieder immer noch in organisierter Verbindung miteinander zu stehen scheinen, deren Aktivität allen Hindernissen zum Trotz fortgesetzt wird, die auf ihre Stunde wartet, die darauf wartet, bis der Nationalsozialismus in der Kraftanstrengung eines neuen Krieges zusammenbricht ... »

Wie kühn er einem erschien, damals in den dreißiger Jahren - und was für ein Schwindler er war! Wo, in jener rauchigen Zeit der Maskerade, war ein Mann, der wirklich für das kämpfte, wofür zu kämpfen er vorgab, der aufrichtig wünschte, seine Mitmenschen zu befreien und sie nicht selber zu versklaven? Ich sehe wenige von solchen Männern im Rauch der dreißiger Jahre und noch weniger jetzt. Wenn ich jetzt einen «Faschisten» und einen «Kommunisten» die Spaziergänger im Hyde Park anrufen höre,

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denke ich von dem ersten: «Du bist Dimitrow!» und von dem zweiten: «Du bist Hitler!» und von den zweien zusammen: «Räuber seid ihr alle beide! Beide arbeitet ihr für das gleiche Ziel, und hinter euch stehen die gleichen Drahtzieher!»

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